Arbeitskritischer Kreis Kultur | Die Sehnsucht in die Stadt tragen

Auf einer Geburtstagsfeier haben neulich Bekannte aus dem Freiburger Stadtteil Vauban erzählt, wie sie ihre Wohnsituation bedrückt. Die Familie lebt seit über zehn Jahren zu viert in einer Dreizimmerwohnung. Der knappe Platz ginge noch – aber es stimmt vorne und hinten nicht mehr. Das Haus ist von jungen, alternativ orientierten Menschen bewohnt. Eigentlich gut. Aber deren Selbstorganisierung und der konventionellere Lebensentwurf der Familie passen auf Dauer nicht zusammen: Sie wollen da raus.

Die Familie ist ausländischer Herkunft, hat ein kleines Einkommen und sucht eine bezahlbare Vierzimmerwohnung in Freiburg. Wegen der Kinder am liebsten in der Nähe von deren Schule. Aber es gibt keine bezahlbare Wohnung. Sie suchen nicht einmal mehr richtig. Die Eltern sind niedergeschlagen, denn sie können an einem wichtigen Punkt ihr Leben nicht selbst gestalten. Was ist ihre Sehnsucht? Es gibt keine. Sie sind resigniert, man könne da nichts machen, die Sehnsucht ist abgeschnitten.

Andere im Stadtteil Vauban haben eine schicke Wohnung gekauft, in der sie nach ihren Bedürfnissen leben können. Es ist okay. Aber selbst diese Leute bedauern zum Teil, wie einförmig der Stadtteil geworden ist. Die Mieten sind für Niedrigverdiener inzwischen unbezahlbar. Die ersten der wenigen Preisbindungen des Sozialen Wohnungsbaus laufen bereits aus. Vauban wird gerne als fortschrittlicher Ökostadtteil bezeichnet. Eine eigene Nähe zum historischen Festungsbaumeister Sébastien Le Prestre de Vauban sehen die meisten VewohnerInnen nicht. Aber eine unsichtbare Mauer schottet hier die alternative Mittelschicht vom Rest der Gesellschaft ab. Eigentlich können viele hier die homogenen Einfamilienhausvororte nicht leiden. Nun leben sie dasselbe in Grün.

Heute werden in den Städten ganze Quartiere aufgewertet oder so geplant, dass „junge Familien“ die Möglichkeit haben, „Eigentum zu bilden“. Diese „Gentrifizierung“ wäre gut, wenn alle sie sich leisten könnten. Aber so sortieren Wohnungsmarkt und Standortpolitik die Bevölkerungsstruktur nach Einkommen. Der Kontakt zwischen gut und schlecht verdienenden Gruppen ist sozialräumlich behindert. Schulen und Lebensräume der gesellschaftlichen Klassen sind relativ getrennt. Die Stadt als ein Ort, in dem sich unterschiedliche Schichten und Lebensentwürfe produktiv aneinander reiben und vermischen, bleibt einfernes Ideal. „Jedem nach seinen Bedürfnissen“ ist hier das nahe liegende Gegenprogramm.

Gegenüber den neuen, schicken Stadtteilen und Innenstädten gibt es von außen die Sehnsucht, dazu zu gehören. Von innen regt sich jedoch bereits die Sehnsucht, nicht dazu gehören zu müssen. Eigentlich gibt es kein besseres Lebensgefühl gegenüber einer Stadt, als, dass sie einem gehört. „Gehören“ nicht in dem Sinn, Zäune oder no-go-areas zu errichten. Sondern, indem man es sich erlauben kann, sich diese Stadt zu nehmen, ohne anderen etwas wegzunehmen. Sie ist groß genug. Das Spannende an der Stadt ist: Sie wird reicher, anstatt ärmer, je mehr Menschen sie sich teilen. „Der einsame, gedankenvolle Wanderer wird auf sonderbare Weise trunken von dieser Gemeinschaft mit allen“, sagte Charles Baudelaire, der die Magie der Stadt erkannt hatte. Die Eroberung der Stadt durch diejenigen, die sie nicht annektieren, verramschen, beherrschen wollen, ist verbündet mit diesem Wanderer, denn beide zivilisieren die Stadt.

Für die oben erwähnte Familie hieße das, dass sie sich die Sehnsucht nach Veränderung endlich leisten kann. Ein „Recht auf Stadt“ ist keine Juristerei, sondern es eröffnet den Horizont für die Bezauberung der Stadt.

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