Rede „Sorry, das ist eben Kapitalismus“

hier dokumentieren wir eine Redebeitrag der Gruppe: Friends of Wildcat, eine Gruppe, die sich mit Kapitalismus, Revolte, Aufstand, Klasenkampf weltweit auseinandersetzt, zur internationalen sozialen Protesten.

Liebe Recht-auf-Stadt-Mitkämpferinnen und Mitkämpfer, liebe interessierte Freiburgerinnen und Freiburg, hallo an alle, die nicht nur zum konsumieren hier sind, 1968, so wird berichtet, haben die von der StudentInnenbewegung angesteckten Leute zum Hammer gegriffen und haben in Mietskasernen die Wände zwischen den Wohnungen eingeschlagen. Sie wollten kein Leben voller Trennungen und Einschachtelungen mehr führen. Davon sind wir weit entfernt.

1977, so wird ebenfalls berichtet, entstand eine wilde Bewegung von StadtindianerInnen, die Autonomia in Italien, sie ging aus von centri sociali, schnappte sich Freiräume, besetzte leerstehende Häuser und Fabriken. In diesen Freiräumen sollten die alltäglichen Bedürfnisse politisiert und in kollektiven und selbstbestimmten Formen ausgelebt werden. Freie Radios und Alternativzeitschriften entstanden, Straßentheater wurde erprobt, Wandmalerei verzierten die grauen Wände – und die Bewegung radikalisierte sich bis zu direkten Aneignungen wie dem „proletarischen Einkaufen“, also unbezahlter Aneignung von benötigten Produkten. Mietstreiks, kollektives Schwarzfahren waren neue Aktionsformen und wurden als Teil eines neuen Klassenkampfs begriffen. Hunderttausende waren auf der Straße. Davon sind wir – schauen wir auf unseren doch recht kleinen erlesenen Kreis – ebenso weit entfernt.
Aber wenn wir unseren Blick über den Freiburger Tellerrand heben, sehen wir einiges:
In den großen Städten gibt es im Hinblick auf den kapitalistischen Stadtumbau sporadische Ansätze von Gegenwehr. Die Träger dieser Kämpfe sind heterogen, die Aktionsformen auch: Manche agieren als Nestbeschmutzer und wollen mit Zündelei und Stinkeei den Kiez für die profitträchtige Aufwertung unattraktiv machen. Nicht jeder Autozündler ist ein frustrierter arbeitsloser Jugendlicher oder ein Versicherungsbetrüger, ein paar sehen sich als antikapitalistische AntigentrifizierungskämpferInnen. Größere Bewegungen bildeten sich um Großprojekte wie Mediaspree und Flughafen Schönefeld in Berlin, das Gängeviertel in Hamburg oder hier im Ländle: Stuttgart 21.
Schweift unser Blick noch etwas mehr in die Ferne sehen wir absolut Faszinierendes:
Menschen besetzen zentrale Plätze ihrer Städte. Die neuen Aktionsformen weisen über Landesgrenzen hinweg überraschende Gemeinsamkeiten auf: Nachdem man in Kairo die Diktatur von Hosni Mubarak unter anderem mit einer Zeltstadt auf dem Tahrirplatz in die Knie gezwungen hatte, wurde auch in Barcelona, Madrid und Tel Aviv das subversive Potenzial des Campierens im öffentlichen Raum entdeckt. Seit neuestem macht die Occupy-Bewegung von sich hören: in der Wall-Street in New York, in Frankfurt am Main, selbst in China rumort es… Überall geht es um eine zentrale Frage: was ist gutes Leben? Beantwortet wird sie meist auch recht schnell: ein anderes. Ein Leben jenseits dessen, was vorherrscht. Hunderte, Tausende, Zehntausende kommen zusammen, um mal flüchtig, mal konzentriert, mal wütend, aber immer gut gelaunt, mal sprachlos, mal voller Poesie über die Krise des Kapitalismus zu diskutieren. Da gibt es auch viel Nonsens und viele Umarmungsversuche. Alle möglichen herrschenden Charaktermasken bemühen sich um die Leute mit den Guy-Fawkes-Masken: Was sind eure Forderungen, so hören die Okkupateure und Okkupateurinnen immer wieder. Habt ihr einen Forderungskatalog? Sollen wir was besteuern? Wollt ihr zur Volksbank oder zur Sparkasse? Verständnis signalisieren alle für die Occupy-Bewegung bis hin zu Angela Merkel und Helmut Schmidt.

Empören darf man sich, so lange die Empörung staatsbürgerlich bleibt und nicht in radikale Kritik und Praxis mündet.
Was wäre aber beunruhigender als eine Bewegung mit langem Atem, die keine Forderungen in der gängigen verdinglichten Sprache der Verwalter des Elends vorbringt? Wir sind am Anfang: Eine neue Sprache, neue Symbole sind gefragt. Von Altem sollte man sich verabschieden: „Brecht die Macht der Banken“? „Geld regiert die Welt“? Das ist nichts neues, das weiß jeder: der Stammtisch ebenso wie die Freunde der Marktwirtschaft. Reden wir über Geld, aber anders: Geld dient den wenigsten von uns als Geld, aus dem mehr Geld wird, also als Kapital, oder in den schönen Worten von Karl Marx: als Geld heckendes Geld, nein: für uns heißt Geld Zwang zur Arbeit. Geld heißt: Wecker, Früh-Aufstehen, In-der-Straßenbahn-Sitzen, im Büro ankommen, krank werden, genervt sein, Hartz IV bürokratisch erstreiten müssen, einen neuen prekäre Job finden müssen. Undsoweiterundsofort. Geld ist das, was knapp ist. Oder es ist die Zeit, die knapp ist, die wir verlieren. Geld ist das, was wir immerzu ausgeben müssen, Zeitsouveränität ist das, was stets bedroht ist.
Apropos Stadt und Miete: Die immer höheren Mieten fressen unser Einkommen auf. „Sorry, das ist eben Marktwirtschaft“, sagt OB Salomon. In der Tat. Leider hat er recht: Das ist Geld. Und wir kriegen das Geld und seinen Anspruch auf unser Leben, sein Kommando über unser Leben nur los, wenn wir uns mit den falschen Formen dieser Gesellschaft konfrontieren. Wo können wir das tun? Überall und vor allem im Alltag. Wir müssen nur anfangen. Dann merken wir: von dem ganz großen Aufbruch sind wir nicht ganz so weit entfernt! Wir haben eine Welt vor uns im Umbruch, es ist an uns, den Sturm der Revolte auch in die vorerst befriedeten Zonen zu tragen – wie hier in die ökokapitalistische Greencity, in die Breisgaumetropole Freiburg. Damit wir sagen können: Sorry, das ist eben Kapitalismus: ihr kriegt den Konflikt, den Ärger nicht los! Fangen wir an. 2011
Dankeschön!