Landeserstaufnahmestelle alternativlos? Mit BISS für ein menschenwürdiges Leben mit Flüchtlingen

Rund 60 Personen diskutierten am 03.11.14 im E-Werk über die Zukunft des Geländes der Polizeiakademie im Stadtteil Schildacker. Während die BISS bereits seit Anfang des Jahres ein Modell für einen solidarischen und basisdemokratischen Stadtteil auf dem Gelände entwickelt, plant die Stadt Freiburg gemeinsam mit dem Land Baden-Württemberg dort eine „Landeserstaufnahmestelle“ (LEA) für bis zu 1000 geflüchtete Menschen. Gemeinsam mit Valdet Ademaj und Walter Schlecht diskutierten Anne Zahn und Lukas Bischler von BISS auf dem Podium darüber, wie das Zusammenleben mit Flüchtlingen hier in Freiburg menschenwürdig und jenseits von Sammelunterkünften gestaltet werden kann. In einem Punkt sind sich alle einig: Alternativlos ist die Landeserstaufnahmestelle nicht!

Als alternativlos bezeichnen indes die Stadt Freiburg und das Land Baden-Württemberg ihr Pläne, auf dem Gelände der Polizeiakademie eine Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge einzurichten. Dort sollen neu ankommende geflüchtete Menschen übergangsweise für bis zu drei Monate untergebracht werden, bis über ihre Asylanträge entschieden ist und sie entweder ausgewiesen, abgeschoben oder den einzelnen Kommunen zur „Anschlussunterbringung“ zugeteilt werden. Nach Aussagen der Integrationsministerin Öney eigne sich das Gelände hervorragend, von der Umzäunung über die Unterteilung der Gebäude in kleine Einzelzimmer bis hin zu den gemeinschaftlich genutzten sanitären Anlagen. Während vor kurzer Zeit noch ein Sanierungsbedarf in zweistelliger Millionenhöhe als Grund für den Abzug der Polizeiakademie angeführt und der Zustand als nahezu unbewohnbar beschrieben wurde, scheint die Infrastruktur (bis auf Nachbesserungen beim Brandschutz als Schutz vor „Brandanschlägen“, so Integrationsministerin Öney) für Geflüchtete hervorragend geeignet zu sein. Je nach Bedarf wird offensichtlich die Argumentation „passend gemacht“.

Auf dem Podium blickte Valdet Ademaj auf seine Ankunft als Flüchtlingskind in Deutschland zurück – in einer eigenen Wohnung wurden er und seine Familie freundlich empfangen und konnte sich eine neue Heimat aufbauen. Er berichtete aber auch von den Erfahrungen vieler anderer Geflüchteter, die in Flüchtlingswohnheimen auf engstem Raum untergebracht sind und kaum eine Chance haben, sich von den traumatisierenden Fluchterfahrungen zu erholen. Diese Menschen brauchen in erster Linie einen ruhigen und sicheren Zufluchtsort – eben eine eigene Wohnung und Kontaktmöglichkeiten mit der Nachbarschaft.

Walter Schlecht vom Freiburger Forum gegen Ausgrenzung lieferte einen historischen Abriss über die Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland (insbesondere in Baden-Württemberg). Er legte kenntnisreich dar, dass in der Einrichtung von „Erstaufnahmestellen“ der repressive Charakter des deutschen Asylsystems gipfelt: Solche Einrichtungen dienen in erster Linie der Abschreckung und der schnellen Abschiebung, sie haben nichts mit menschenwürdiger Unterbringung zu tun, sondern erschweren den Geflüchteten die Kontaktaufnahme und die Suche nach Unterstützung jenseits des staatlichen Kontrollsystems erheblich. Daher ist die Einrichtung einer solchen LEA nicht zu begrüßen, sie stellt vielmehr einen weiteren Baustein einer auf Repression und Abschreckung abzielenden Asyl- und Flüchtlingspolitik dar. Was es brauche, seien daher nicht lagerartige Strukturen wie die LEAs, sondern die dezentrale, kommunale Unterbringung von Flüchtlingen in Wohnungen, wie es in anderen Bundesländern wie Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein zu über 80% der Fall ist. In Baden-Württemberg war bis zum Beginn der 1980er Jahre eine solche Unterbringung ebenfalls die Regel – bis aus Abschreckungsgründen die zentralen Aufnahmestellen eingeführt wurden.

Einig waren sich die Diskutierenden in dem Punkt, dass das vermeintliche Problem der Unterbringung von Flüchtlingen in Freiburg „hausgemacht“ ist. Die Stadt muss aufhören, ihre Instrumente des sozialen Wohnungsbaus an Profitinteressen auszurichten und stattdessen ihrer Pflicht als Fürsorgerin gerecht werden, sodass Menschen mit geringem Einkommen eine reale Chance haben, eine bezahlbare und menschenwürdige Wohnung zu beziehen. Dies gilt nicht nur für Geflüchtete, sondern für eine wachsende Zahl von Menschen und Personengruppen, die auf einem profitorientierten Wohnungsmarkt zu den systematischen Verlier_innen zählen.

Die Basisinitative Stattquartier Schildacker (BISS) verfolgt daher nach wie vor ein anderes Konzept: die Vision einer basisdemokratischen Stadtentwicklung von unten, bei der nicht Profitinteressen, sondern die Bedürfnisse der Menschen im Vordergrund stehen. Die BISS hatte von Beginn an den Anspruch, insbesondere geflüchteten Menschen, die kaum eine Chance auf dem privaten Wohnungsmarkt haben, in die Planungen miteinzubeziehen. Wenn Mieten dem Anspruch der Kostendeckung und nicht privaten Profitinteressen verpflichtet sind, ist diese Art des Zusammenlebens zu Wohnungspreisen bis zur Hartz-IV-Obergrenze möglich, und somit auch für Menschen erschwinglich, die auf Mietzahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angewiesen sind. Wir wollen auf dem Gelände der Polizeiakademie einen kleinen Stadtteil schaffen, mit Wohnungen und einer umfangreichen sozialen Infrastruktur, die in Gemeineigentum und Selbstverwaltung organisiert ist.

Menschen mit Fluchterfahrung brauchen eine menschenwürdige Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik – jenseits marktwirtschaftlicher Verwertungsprinzipien. Dafür stehen wir als BISS weiterhin ein: für die Vision einer basisdemokratischen, selbstverwalteten Stadtentwicklung. Die Stadt von morgen sind wir alle – lasst sie uns gemeinsam gestalten!

Basisinitiative Stattquartier Schildacker (BISS) – November 2014