Gentrifizierung in Freiburg – Privatisierung der LBBW-Wohnungen

Von der Finanzkrise zu Mietkämpfen

Vier Jahre nach ihrem Beginn bekommen nun auch Freiburger MieterInnen die direkten Auswirkungen der globalen Finanzkrise zu spüren. Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) hatte durch Bankgeschäfte milliardenhohe Verluste gemacht. Durch Staatshilfen wurde die LBBW vor der Insolvenz bewahrt; dies genehmigte die EU aber nur unter Auflagen. Zu den geforderten Umstrukturierungsmaßnahmen gehört auch der Abstoß des Wohnungsbestandes der LBBW. Mehr als 20.000 Wohnungen sind davon betroffen. Mitte Februar entschied sich die grün-rote Landesregierung Baden-Württembergs, größte Eigentümerin der LBBW-Bank, nach einem häufig sehr intransparenten Bieterverfahren für die Patrizia Immobilien AG. 

Im Gespräch neben Patrizia war auch das „Baden-Württemberg-Konsortium“, ein Zusammenschluss von Kommunen, welche die Wohnungen in der öffentlichen Hand behalten wollten. Der Mieterbund, aber auch MieterInnen selbst, kritisieren die Entscheidung und befürchten, dass diese Wohnungen nun ebenfalls gentrifiziert werden. Selbst die SPD in Freiburg wandte sich in einem Brandbrief an die eigene Regierung. Doch kommunales Eigentum allein schützt nicht vor Mietsteigerung und Gentrifizierung! Der beste Beweis dafür ist die Freiburger Stadtbau (FSB), die die Politik des Freiburger Gemeinderates seit Jahren konsequent umsetzt: eine Mieterhöhungswelle nach der anderen, Vernachlässigung der Instandhaltungspflichten, Verkauf des „Streubesitzes“ und Abriss ganzer Straßenzüge wie in der Johann-Sebastian-Bach-Straße.

Vor dem Verkauf noch ein Stück vom „Gentrifizierungskuchen“

Vor dem Verkauf versuchte die LBBW in Freiburg noch flächendeckend Mieterhöhungen durchzudrücken, um wohl den Preis für den Verkauf nach oben zu drücken. MieterInnen in der Unterwiehre wehren sich gegen die Erhöhungen, die wie so oft auf fragwürdigen Begründungen beruhen. Diese Auseinandersetzungen beschäftigen nun die Gerichte; Urteile stehen aber noch aus. Einige Freiburger LBBW-MieterInnen haben aus diesen Entwicklungen etwas weitgehendere Schlüsse gezogen: um sich dauerhaft den Renditeinteressen von LBBW, Patrizia, kommunalen Eigentümern oder sonstigen zu entziehen, haben sie Initiativen ins Leben gerufen, die sich ihren Wohn- und Lebensraum „freikaufen“ wollen.

LBBW-MieterInnen in Freiburg wollen ihre Häuser kaufen und selbstverwalten

Seit Beginn des Jahres 2011 war der drohende Verkauf der LBBW-Wohnungen bekannt. Im Quartier westlich der Merzhauserstraße (auch bekannt als „Heldenviertel“ oder als Teil der Unterwiehre) bildete sich daraufhin im Sommer 2011 eine Initiative von MieterInnen der LBBW-Wohnungen aus der Langemarckstraße/Gorch-Fock-Straße. Sie wollen ihre drei aneinander grenzenden Häuser gemeinsam kaufen.

Die Idee der Langemarck-Initiative ist ein gemeinschaftliches Projekt nach dem Modell des Mietshäuser Syndikats. Dieses sieht vor, dass die Syndikatshäuser auf Dauer dem Kapitalmarkt entzogen werden und in ihnen günstiger Wohnraum ohne Renditeinteressen und auf gemeinschaftlicher und selbstorganisierter Basis entstehen kann.

Die Idee ein solches Projekt zu gründen kam den LBBW-MieterInnen aus der Langemarckstraße nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Entwicklungen in ihrem Stadtteil: im Quartier westlich der Merzhauserstraße findet seit einiger Zeit ein massiver Prozess der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen statt, der auch eine Veränderung der sozialen Struktur des Viertels mit sich zieht. Denn die (vor allem von Sauer Immobilien und Südwestdeutsche Bauunion) hochpreisig sanierten und verkauften Wohnungen können sich die bisherigen BewohnerInnen, vor allem Menschen mit geringem Einkommen, meist nicht mehr leisten und müssen gegen ihren Willen umziehen. Das Gleiche droht nach dem Verkauf an die Patrizia AG nun auch den LBBW-MieterInnen. Das Häuserprojekt aus der Langemarckstraße möchte sich gegen diesen Gentrifizierungsprozess aktiv zur Wehr setzen.

Ähnliche Beweggründe hat auch eine weitere Initiative von LBBW-MieterInnen aus der Vauban. Im Herbst 2011 gründete sich der Verein „VaubanEinsDrei“. Die MieterInnen der Vaubanallee 1-3 möchten, auch im Rahmen des Mietshäuser Syndikats, ihre Häuser gemeinschaftlich erwerben und verwalten – und so dazu beitragen, Mietwohnungsbestand in Freiburg zu erhalten und gewinnorientierten Interessen zu entziehen.

Ein direkter Kauf von der LBBW war nicht gelungen, da die politische Linie vorsah, die ca. 20.000 LBBW-Wohnungen als einen Gesamtbestand zu erhalten. Der Verkauf an die Patrizia AG war dann, im Vergleich zur Option eines Verkaufs an das oben genannte „Baden-Württemberg-Konsortium“, erstmal keine vorteilhafte Entwicklung für das Vorhaben der Bewohnerinitiativen. Denn sie setzten darauf ihre Wohnungen dem BaWü-Konsortium abkaufen zu können, da dieses zumindest theoretisch einen wohn- und sozialpolitischen Anspruch hätte. Ein Verkauf an MieterInnen-Initiativen ohne einen nennenswerten Gewinnerlös für die Patrizia AG scheint dagegen noch unwahrscheinlicher. Dennoch bemühen sich die beiden Freiburger MieterInnen-Initiativen weiterhin um den Erwerb ihrer Häuser: am 08.03.2012 unterbreiteten sie der Patrizia AG ein gemeinsames Kaufangebot, das sich am bisherigen Kaufpreis orientiert. Die Antwort steht derzeit noch aus.

Zwar stimmte die Patrizia AG mit dem Kauf der LBBW-Wohnungen Auflagen zu, die sich auf den Erhalt der Wohnungen als einen Gesamtbestand für die nächsten 20 Jahre beziehen. Einen gewissen Spielraum (von ca. 3000 Wohnungen) hat sie jedoch und daran knüpfen die MieterInnen-Initiativen an. Die Auflagen, die den sofortigen renditeträchtigen Weiterverkauf der Wohnungen verhindern sollen, sind Teil einer „Sozialcharta“ , der die Patrizia AG beim Kauf zustimmen musste. In der Sozialcharta sind neben der Bestandserhaltung auch Beschränkungen von Mietpreiserhöhungen enthalten. Diese Beschränkungen sind jedoch als Landesdurchschnitt und ohne Maximalerhöhung festgelegt. Das bedeutet, dass an einzelnen Standorten weit höhere Erhöhungen verlangt werden können, als der in der Charta bestimmte Durchschnitt von ca. 5-7%. Hiervon werden die Freiburger Wohnungen sicherlich betroffen sein, da der Freiburger Immobilienmarkt mit seinem begrenzten Angebot und der starken Nachfrage ja bekanntermaßen sehr hohe Mietpreise erlaubt. Welche rechtliche Bindung eine solche Sozialcharta überhaupt hat und ob MieterInnen sie einklagen werden können, bleibt zudem fraglich. Die Überprüfung der Regelungen soll durch die LBBW erfolgen.

Das Thema LBBW-Wohnungen hat daher auch mit dem Verkauf an die Patrizia AG noch keinen Schlusspunkt gefunden. Es steht noch aus, wie sich die neue Eigentümerin als Vermieterin verhalten wird, ob die Sozialcharta greifen kann und nicht zuletzt, ob es den beiden MieterInnen-Initiativen gelingen wird, ihre Häuser zu erwerben. In Tübingen konnte eine ähnliche Initiative noch Anfang 2011 der LBBW vier Häuser abkaufen. Dort unterstützte der Gemeinderat nach einigen politischen Auseinandersetzungen das Projekt mit einem Direktkredit. Angesichts des bisherigen Verhaltens der Freiburger Bürgermeister und des Gemeinderats in Fällen wie der Johann-Sebastian-Bach-Straße und aktuell bei der Veräußerung von städtischen Mietwohnungen sollten die Freiburger Patrizia-MieterInnen ihre Hoffnungen wohl besser nicht auf Unterstützung durch Stadt und Gemeinderat setzen.

Die Selbstorganisation von Mieterinnen und Mietern in Freiburg hingegen sollte weiter vorangetrieben werden!

Recht auf Stadt – Freiburg

Mehr Infos auch bei VaubanEinsDrei

Pressespiegel (Stand 5. April 2012):

UL LBBW Wohnungen kaufen – na klarUL LBBW Wohnungen kaufen – na klar