Fahren ohne Fahrschein entkriminalisieren!

Gesetzesnovelle von 1935 Automatenmißbrauch, Erschleichen freien Eintritts (...) Wer die Leistung eines Automaten oder eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsnetzes, die Beförderung durch ein Verkehrsmittel oder den Zutritt zu einer Veranstaltung oder einer Einrichtung in der Absicht erschleicht, das Entgelt nicht zu entrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.

Gesetzestext von 1935

40 Tage Knast, also acht Monate hinter Gittern wegen Fahrens ohne Fahrschein, war die maximale Zeit, die jemand wegen des „ Erschleichens von Leistungen“ 2024 in Baden-Württemberg im Rahmen einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftiert war. Das „Erschleichen von Leistungen“ ist der Paragraph 265a des Strafgesetzbuches. Eingeführt wurde er mit genau dieser Nummerierung und quasi wortgleich 1935 im Rahmen einer Strafgesetznovelle, die die Unterschrift „Adolf Hitler“ trägt. Wir sagen: Weg mit diesem Naziparagraphen! Der Freiheitsfonds geht davon aus, dass 87 % der Betroffenen, die wegen Fahrens ohne Fahrschein in den Knast kommen, erwerbslos sind und 15 % keinen festen Wohnsitz haben. 15 % seien zudem suizidgefährdet. Es geht um Menschen in Multiproblemlagen.

Z. B. um Herrn K: Er ist wohnungslos und sehr krank. Er kann nicht selbstständig essen und hat einen diabetischen Fuß. Doch statt Unterstützung zu erhalten, sollte er ins Gefängnis. Wegen Fahrens ohne Ticket. Über 100 Tage. Eine Sozialarbeiterin meldete sich beim Freiheitsfonds, der ihn freikaufte.

Leonard vom Freiheitsfonds berichtet von einem Antrag auf das Freikaufen einer Frau, die wegen häuslicher Gewalt eine Anzeige bei der Polizei erstatten wollte. Auf dem Revier wurde sie inhaftiert, weil es wegen Fahrens ohne Fahrschein einen offenen Haftbefehl gegen sie gab. „Wo liegen hier die Prioritäten?“ fragt sich Leonard.

Seit Dezember 2021 hat der Freiheitsfonds knapp 1300 Menschen freigekauft und dafür über eine Million Euro gezahlt. 237 Haftjahre fielen weg, wodurch der Staat 18,4 Millionen Euro gespart habe, weil der Gefängnisaufenthalt eine teure Sache ist. Obwohl es meist nur einige Euro sind, die ein Ticket gekostet hätte, ist die Zahl der Hafttage oftmals alles andere als gering. Im Jahr 2024 betrug die durchschnittliche Haftdauer bei Ersatzfreiheitsstrafen wegen „Erschleichens von Leistungen“ in Baden-Württemberg 55 Tage.

Ersatzfreiheitsstrafen sind Haftstrafen, die verhängt werden, wenn Menschen eine gegen sie verhängte Geldstrafe nicht begleichen können. Es ist eine Form von Armutsbestrafung. Köln, Bonn, Düsseldorf, Münster, Bremen, Bremerhaven, Wiesbaden, Mainz, Potsdam, Halle, Leipzig und Dresden: All das sind Städte, in denen die Verkehrsgesellschaften keine Anzeigen mehr stellen, wenn Fahrgäste in Bus und Bahn beim Fahren ohne Fahrschein erwischt werden.

In Freiburg scheint zumindest die Sensibilität größer geworden zu sein. 2019 stellte die VAG 2320 Strafanzeigen, 2024 noch 633. Die Frist auf Strafbefehle zu reagieren liegt bei zwei Wochen. Eine Richterin oder einen Richter bekommen die allermeisten nicht zur Gesicht. „Der ganze Briefkasten wird manchmal nicht geöffnet, aus Angst, was dort jetzt wieder kommt, was einen wieder überwältigt, was zu einem Leben in prekären Verhältnissen noch obendrauf kommt. Wohnungslose haben oft Postersatzadressen. Da sind zwei Wochen schnell vergangen,“ erläutert ein Sozialarbeiter. Die folgenden Strafen liegen meist zwischen 1000 und 2000 Euro. Für viele Menschen in prekären Lebenslagen eine nicht stemmbare finanzielle Belastung. Stattdessen gehen sie in den Knast.

Aus sozialer und ökologischer Sicht braucht es das Null-Euro-Ticket. Der Weg dorthin scheint noch weit zu sein und auch die Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein lässt in Freiburg auf sich warten. Aufgrund mangelnder Erfolgsaussichten hatten die Fraktion Eine Stadt Für Alle und die SPD ihren gemeinsamen Antrag mit der entsprechenden Forderung im Herbst letzten Jahres zurückgezogen. Und so können auch in Freiburg noch Menschen fürs Fahren ohne Fahrschein in den Knast kommen. Wenn sie über die notwendigen Kontakte verfügen, haben sie vielleicht die Chance freigekauft zu werden. Am 12. Juni ist der nächste Freedom Day. Wäre das Strafrecht entnazifiziert, könnte der Freiheitsfonds auf die Gefangenenbefreiung verzichten.