Polonaise im Pool – Freiburgs epischer Fehltritt in Sachen Gedenkkultur

Wenn eins im Freiburger Sommerloch Thema war, dann die Neugestaltung des Platzes des alten Synagoge. Zurecht steht der Platz in der Kritik, es wurde sowohl lokal als auch überregional darüber berichtet.1 Besonders der Gedenkbrunnen, der an die in der Reichpogromnacht am 9.11.1938 zerstörte Synagoge erinnern soll, war hierbei Stein des Anstoßes: Die Zweckentfremdung als Plantschbecken, die Ästhetisierung der Erinnerung an den Holocaust und fehlende Informationstafeln waren nur einige der Kritikpunkte, die an dem Bauwerk geäußert wurden.

Undemokratisches Vorgehen – in Freiburg kein Novum
Was nicht verwundert: Der Brunnen und das Gedenken an die zerstörte Synagoge an diesem Platz wurden schon lange vor der Fertigstellung kontrovers diskutiert. In Sachen Stadtgestaltung ist unsensibles, undemokratisches Vorgehen in Freiburg kein Novum, doch in diesem Fall finden wir vom Recht-auf-Stadt-Netzwerk diese Praxis besonders skandalös. Wir haben mit Irina Katz, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, geredet, um etwas über ihre Perspektive zu erfahren. Deren Meinung war bei der Gestaltung des Platzes mehrfach grob übergangen worden, obwohl bereits 1948 in einer Vereinbarung mit Stadt, Land und Gemeinde festgehalten worden war, dass der Platz in keiner Weise genutzt werden dürfe, die eine „Profanierung darstellen könnte.“ Zudem verpflichtete sich die Stadt Freiburg 1978, als sie den Platz kaufte, bei allen Änderungen vor Ort eine schriftliche Genehmigung vom Vorstand der Israelitischen Gemeinde einzuholen.

Getrud Luckners Kampf um Erinnerung
Beide Vereinbarungen wurden seitdem vielfach übergangen oder konnten nur durch hartnäckigen Protest eingefordert werden. So setzte sich die Ravensbrück-Überlebende und Freiburgerin Gertrud Luckner, gemeinsam mit einer Gruppe zurückgekehrter Freiburger Juden, schon 1953 für eine Gedenkplatte auf dem Platz ein, der damals noch als Parkplatz genutzt wurde – eine Nutzungsform, die die Stadt mit der Vereinbarung von 1948 (Stichwort: Profanierung) durchaus vereinbar fand. Nach zahlreichen Briefen und Appellen wurde 1961 endlich, mit der Eröffnung des KGII, die Gedenkplatte am 11. November um elf Uhr eingeweiht – zum Fasnachtsbeginn. Man hat es offenbar in Freiburg mit der unglücklichen Wahl von Daten – siehe auch die Abtragung der Grundmauern der Synagoge Anfang November 2016, also kurz vor dem Jahrestag der Reichspogromnacht.

Tilgung der Opfer und des NS
Was wir heute auf der Gedenkplatte lesen können, ist eine reichlich verkürzte Version des Textes den Luckner vorgeschlagen hatte.2 Bezeichnend ist die Tilgung der Opfer aus der Inschrift, die wir heute noch lesen können. Ebenfalls keine Erwähnung, auch nicht in Luckners Vorschlag, finden die Täter. Der Nationalsozialismus wurde zu einer diffusen „Herrschaft der Gewalt und des Unrechts.“ Bereits kurz nach ihrer Niederlegung drohte die Tafel, die flach in den Boden eingelassen wurden war, in Gras und Gebüsch einzuwachsen, bis sie fast nicht mehr zu sehen war. Die Stadt schaute zu und ließ sich, so Katz, weitere zwei Jahre per Brief von Luckner bitten, bis ein Sockel angebracht wurde.

“Mit Spaß gedenken zu wollen: Das ist nicht unsere Art des Gedenkens.”
Der Umgang mit dem Gedenken am Platz der alten Synagoge seit 1945 ist Vorzeichen der Neugestaltung: Anstatt zu versuchen ein Gedenken in Würde zu ermöglichen und die Nachkommen der Betroffenen einzubeziehen, wurden Fakten geschaffen.
„Mit Spaß gedenken zu wollen: das verstehen wir nicht, das ist nicht unsere Art des Gedenkens.“ so eine Reaktion Irina Katz‘ auf den neuen Freizeitcharakter des Platzes nach seiner Eröffnung. Was für den Baubürgermeister der Stadt Freiburg, Martin Haag, laut eines Videointerviews „ein würdiges Andenken“ und „erst der Anfang“ des neuen Platzes darstellt, ist für die jüdische Einheitsgemeinde das Ende eines aufreibenden und entwürdigenden Prozesses.

“Überraschungen” gibt es immer wieder?
Der Fund der Bausubstanz der alten Synagoge zu Beginn der Bauphase im Oktober 2016 war mitnichten ein Überraschungsfund. Bereits im Zuge der Abtragung des Parkplatzes waren Mauerreste aufgefallen und wurden auch später im ursprünglichen Auslobungstext der Platzneugestaltung vom 21. März 2006 erwähnt. Mit einer nur zwei Wochen später formulierten neuen Version hat sich die Stadt mithilfe eines geologischen Gutachtens selbige Steine noch schnell selbst aus dem Weg geräumt. Erkenntnisse über Baureste hätte es plötzlich nicht mehr gegeben. 10 Jahre später war die Überraschung scheinbar groß – und kurz: „Für uns war am schmerzhaftesten, dass die Grundmauern in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abgetragen wurden, damit hat man Fakten geschaffen“ so Katz. Gemäß der Vereinbarung, bei allen baulichen Aktivitäten das Einverständnis der jüdischen Gemeinde einzuholen, hätte die Sachlage zumindest erneut erörtert werden müssen.

Wo sind die Steine jetzt?
Stattdessen wurde mit der Abtragung begonnen ohne die jüdische Gemeinde – bis heute – über den Verbleib der Steine zu informieren. Ein Abstimmungsergebnis der Gemeindeversammlung bezüglich der Handhabung der Funde wurde von der Stadtverwaltung „mit Bedauern zur Kenntnis genommen“ zog aber keine weiteren Folgen bei der Stadtverwaltung nach sich. Eine Zusicherung Tiefbauamtes und des Baubürgermeisters, die Fundamente bis zum ausstehenden Hauptausschuss nicht abzutragen, wurde gebrochen (somit auch erneut die Vereinbarung seit 1948) und die Abmachung als Missverständnis deklariert. Im Prozess der Neugestaltung wurde von groben Fahrlässigkeiten bis hin zu offensichtlichen Täuschungen, der jüdischen Gemeinde ein vielfältiges Allerlei der Ignoranz entgegengebracht.

Würdiges Gedenken? Auf dem Platz leider nicht möglich
Was sind die Konsequenzen für die Gemeinde? Irina Katz: “Wir sind kategorisch gegen Verbotsschilder“, ein Gedenkort wird der Platz mit dem Planschbecken nicht sein können, daran würden auch Schilder und Hinweise nichts ändern. Daher plant die Israelitische Einheitsgemeinde sowohl die versenkte Gedenktafel als auch die noch verschwundenen Steine auf dem Vorplatz der neuen Synagoge zu installieren, für ein würdiges Gedenken.

Recht-auf-Stadt Netzwerk, 18.9.2017

Erschienen im Magazin FreiEBürger, Okt. 2017

 

1 z.B. z.B. Larissa Schober: Erinnern, um zu vergessen (Jungle World, 17.8.2017); Heinrich Schwendemann: Die Würde des Ortes wahren (Interview auf der Webseite der Uni Freiburg, 3.8.2017)

2 Luckners Vorschlag: „Hier stand die Synagoge der jüdischen Gemeinde, Freiburg i. Br., zerstört am 9. November 1938. Vater des Erbarmens, gedenke dieser Gläubigen und ihrer Ermordung, ihrer Verdienste und der Verdienste ihrer Väter. Stehe ihren Kindern in der Zeit der Not bei. (Aus einem Gebet am Versöhnungstag) Heilig ist uns das Gedächtnis der Opfer ohne Zahl.“