Bericht von Betroffenen: Eine andere Stimme im Stühlinger

Dieser Text erschien zu erst in der IN Zeitung (Ausgabe 29 Winter 2019/2020)

Ein Picknick im Park: Fröhliche Atmosphäre, ein entspannter Tag – bis aus heiterem Himmel die Polizei kommt und den jungen Mann kontrolliert, der da eben noch mit seiner Partnerin, dem gemeinsamen kleinen Sohn und ein paar Freunden und Freundinnen am Essen und Plaudern war. Sein Ausweis wird inspiziert, er wird am ganzen Körper abgetastet, auch im Intimbereich. Seine Partnerin beschwert sich darüber, die Polizisten wiegeln nur ab. Der Mann hatte sich übrigens nichts zuschulden kommen lassen. Warum dann gerade er kontrolliert wurde? Weil er schwarz ist, aus Gambia kommt. Und das Picknick auf dem Stühlinger Kirchplatz stattfand, in dessen Nähe er mit seiner Familie wohnt.

Bei dieser und ähnlichen Erfahrungen habe sie ein Gefühl der Ohnmacht empfunden, sagt seine Partnerin. Um diese Ohnmacht zu überwinden, hat sie sich dem neuen „Anwohner*innenverein Stühlinger“ angeschlossen, einem Verein, der sich gerade in der Gründungsphase befindet. Die Initiative will denjenigen Bewohner*innen des Stadtteils eine Stimme geben, die ganz und gar nicht einverstanden sind mit den Polizeikontrollen auf dem Kirchplatz. Sie wehren sich dagegen, dass in der Öffentlichkeit häufig die Interessen der Stühlinger Bürger*innen als Rechtfertigung für diese Maßnahmen angeführt werden: Denn die lassen sich nicht über einen Kamm scheren.

Über den ganzen Sommer hat sich nicht nur das Polizeiaufgebot stark vermehrt, sondern auch die Polizeigewalt zugenommen. So wurden Menschen mit schwarzer Hautfarbe gezwungen, sich im Rahmen anlassloser Durchsuchungen vor Polizeibeamt*innen auf dem Platz auszuziehen, und teilweise im 10-Minuten-Takt kontrolliert werden, gezielte Polizeiaktionen bei denen alle Menschen mit schwarzer Hautfarbe einen mündlichen Platzverweis bekommen und der Platz „gesäubert“ wird. Wer nach dem Grund fragte, wurde vom Platz geschubst. Die Einsätze wurden mehrfach groß inszeniert mit zahlreichen Polizeiautos, einer Drohne, Hunden und vielen Einsatzkräften. Wer täglich im Stühlinger unterwegs ist, sieht dabei unweigerlich: Betroffen von den Einsätzen sind speziell schwarze Menschen – in solchen Fällen spricht man von racial profiling. Für sie ist der Platz nicht sicherer geworden, sondern unsicherer!

Das stört nicht nur unmittelbar Betroffene wie die oben erwähnte Familie. Auch andere Anwohner*innen fühlen sich auf dem Kirchplatz nicht mehr so wohl wie früher: „Wenn ich schon von Weitem sehe, dass der Kirchplatz mit Polizeibussen umstellt ist, dann setze ich mich da bestimmt nicht hin, um in Ruhe zu lesen. Man geht auch nicht unbedingt mit Freund*innen eine Runde Tischtennis spielen, während irgendwelche Drohnen über den Platz fliegen“, sagt die Studentin Katja Brögler, die im Stühlinger wohnt. Früher sei sie oft freundlich angesprochen worden, berichtet eine weitere Anwohnerin, doch mit der verstärkten Polizeipräsenz sei die zwischenmenschliche Atmospähre auf dem Platz deutlich abgekühlt.

„Einen solchen Stühlinger wollen wir nicht! Wir wünschen uns eine freie Stadt, in der niemand Angst vor willkürlichen Polizeimaßnahmen haben muss. Eine Stadt, in der öffentliche Räume von allen genutzt werden können, und in der etwaigen Problemen nicht mit Polizeigewalt sondern mit Dialog begegnet wird“, so der „Anwohner*innenverein Stühlinger“. Wer sich dem anschließen möchte, kann sich einbringen und Kontakt aufnehmen über anwohnerinnen – verein – stuehlinger  äht gmx . net.

Dieser Beitrag ist in der Zeitung „Gefährliches Pflaster“ – Zeitung zur Sicherheitskritik erschienen.