Sicherheitspolitik gegen sexualisierte Gewalt?!

Sicherheitspolitik gegen sexualisierte Gewalt?!

Feministische und antirassistische Demo gegen sexualisierte Gewalt 2018 in Freiburg (Foto: rdl.de, Lizenz: CC Attributi-
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2016 sorgte die Vergewaltigung und der Mord an einer jungen Frau* in Freiburg für überregionale Aufmerksamkeit. Da der Tatverdächtige ein Geflüchteter war, wurde der Fall insbesondere von der AfD für rassistische Hetze instrumentalisiert. Der Fall wurde in eine von Sexismus und Rassismus durchsetzte Debatte integriert, die sich bereits mit der Rezeption der Ereignisse in Köln an Silvester 2015/16 intensiviert hatte. In dieser Debatte wird die „deutsche Frau“ (verstanden als weiß) als Opfer von sexualisierter Gewalt durch rassifizierte Täter dargestellt. Dabei werden Frauen* und ihre Erfahrungen für rechte Argumentationen vereinnahmt und sie werden als „Eigentum“ des weißen, deutschen Mannes konzipiert.

Im Raum Freiburg kam es 2016 zu einem weiteren Gewaltverbrechen, bei dem eine Joggerin vergewaltigt und ermordet wurde. Die beiden Fälle wurden als Begründung für die 2017 eingerichtete „Sicherheitspartnerschaft“ (SIPA) zwischen der Stadt Freiburg und dem Land Baden-Württemberg herangezogen.
Durch diese SIPA erhielt die Freiburger Polizei mehr finanzielle Mittel. Mit diesen finanziert sie unter anderem knapp 40 zusätzliche Polizist*innen für Freiburg, den Einsatz einer Reiterstaffel und einer Fahrradgruppe, den kommunalen Vollzugsdienst (VD), mehr Aufklärungsarbeit sowie verstärkte Razzien an Drogen- und Kriminalitätsschwerpunkten.
Des Weiteren wird an einer Videoüberwachung in Teilen der Stadt gearbeitet, es wurden Beleuchtungskonzepte überarbeitet und Hecken zurückgeschnitten. Der VD ist ein regelmäßiges Thema im Freiburger Gemeinderat so wurde mehrfach kontrovers über seine Einsetzung diskutiert und entschieden. Erst im April 2017 wurde seine Einführung vor dem Hintergrund der SIPA schließlich beschlossen.

Ein oberflächlicher Blick auf die oben beschriebenen Maßnahmen genügt, um festzustellen, dass es in der SIPA nicht darum geht, Frauen* vor gewalttätigen und übergriffigen Männern zu schützen. Stattdessen geht es darum, eine „Recht & Ordnungs“-Politik durchzusetzen und sogenannte Randgruppen und Subkultur(en) aus der Innenstadt zu verdrängen. So benennt Martin Schulz (stellvertretender Leiter des Amts für öffentliche Ordnung) gegenüber Radio Dreyeckland die Aufgaben des VD: „Das Thema ist zum Beispiel aggressives Betteln, das Thema ist Lagern in der Innenstadt, das Thema ist auch Vermüllung in der Innenstadt […] zum Teil wird‘s auch Straßenmusik sein“. Besonders bei diesem beschriebenen Fokus auf die Freiburger Innenstadt wird deutlich, dass es hierbei darum geht, die Stadt für Tourist*innen attraktiver zu machen und nicht etwa darum, Übergriffe auf Frauen* zu verhindern. Die stark medial aufgegriffenen Vergewaltigungen der letzten Jahre (von denen im Übrigen keine in der Innenstadt stattfand) dienten lediglich als Vorwand. Dies lässt sich besonders deutlich daran erkennen, dass die Reiterstaffel hauptsächlich am Stühlinger Kirchplatz patrouilliert, der in den letzten Jahren zum Treffpunkt einer schwarzen Community geworden ist. Die oben geschilderten Maßnahmen verfehlen auch insofern das Ziel, körperliche und sexualisierte Gewalt gegen Frauen* wirksam zu reduzieren, als der Großteil dieser Gewaltakte im Privaten und nicht im öffentlichen Raum stattfindet. Feminist*innen betonen seit Jahrzehnten die überproportionale Häufigkeit der häuslichen Gewalt, insbesondere durch (Ex-)Partner, im Vergleich zu Übergriffen durch die häufig beschworenen und auch durch die Freiburger „Sicherheits“-Politik adressierten ‚fremden Männer‘.
Eine Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland, 2004) bestätigt diese Diagnose. In ihr gab ein bestürzender Anteil von 40 % aller befragten Frauen* an, seit dem 16. Lebensjahr körperliche oder sexualisierte Gewalt erfahren zu haben; sexualisierte Belästigung hatten 58% erlitten. In 99 % der Fälle waren die Täter männlich.
Sowohl bei sexualisierten als auch sonstigen Übergriffen handelt es sich meist um Personen, die der Betroffenen bekannt sind, am häufigsten um (Ex-)Partner oder Geliebte. Ein Viertel aller Frauen*, die schon einmal eine Partnerschaft hatten, erfuhren durch Beziehungspartner körperliche oder sexualisierte Gewalt. Die Täterschaft von nahestehenden Personen wirkt sich auch auf die Orte aus, an denen Übergriffe am häufigsten stattfinden.
In ihrer eigenen Wohnung, nicht in Parks oder auf der Straße, sind Frauen* am meisten durch Gewalt bedroht: „Die Auswertung der Tatorte zeigt auf, dass es eher selten die typischen Angstorte sind, an denen Frauen sexuelle Gewalt tatsächlich erleben und häufiger gerade jene Orte, an denen sich Frauen in der Regel sicher und zu Hause fühlen“, heißt es in der Studie. Aus diesen Befunden sollte nicht abgeleitet werden, im öffentlichen Raum stattfindende Gewalt zu vernachlässigen. Aber dennoch verschleiert der alleinige Fokus auf „Sicherheitspolitik“ im öffentlichen Raum die vorrangige Quelle von Unsicherheit für Frauen*, die von den weiterhin bestehenden patriarchalen Kleinfamilienstrukturen ausgeht. Durch den Fokus der „Sicherheitspolitik“ und der dazugehörigen Debatte auf ‚fremde Männer‘ wird zudem ein Bedrohungsgefühl aufrechterhalten und verstärkt, das potentielle Unsicherheit von Frauen* verschärfen und sie somit aus dem öffentlichen Raum ausschließen kann. Dadurch wird die traditionelle Restriktion von Frauen* auf den privaten Raum bei gleichzeitiger Dominanz von Männern im öffentlichen Raum reproduziert. Die Präsenz überwiegend männlicher Polizisten und Ordnungsdienste entspricht dieser Aufteilung und macht Frauen* nicht sicherer. Einige, etwa illegalisierte oder obdachlose Frauen* werden dadurch im Gegenteil zusätzlich bedroht.

Ein positives Beispiel für die Bekämpfung sexualisierter Gewalt liefert dagegen die Girl*Gang Freiburg, die eine Reihe von „Regeln für ein solidarisches Miteinander“ formuliert, das „nicht betroffene, sondern übergriffige Personen in die Verantwortung für ihr Handeln zieht“. Diese Regeln werden in Form von Stickern, Flyern und Aktionen verbreitet, um dafür zu sensibilisieren, dass nicht mehr Überwachung, sondern ein anderes Miteinander und eine Veränderung im Verhalten der Täter nötig sind (girlgangfreiburg.home.blog/girlgang-rules).

Anstelle der derzeitigen städtischen Pseudo-Sicherheitspolitik ist es dringend erforderlich, männliche Dominanz und Gewalttätigkeit als strukturelles gesamtgesellschaftliches Problem, das nicht auf (rassifizierte) Andere beschränkt ist, konsequent anzugehen. Nur das macht uns wirklich sicher.

Feministische Gruppe Realitätenwerkstatt

Dieser Beitrag ist in der Zeitung „Gefährliches Pflaster“ – Zeitung zur Sicherheitskritik erschienen.