Diskussionen um »soziale Mischung« von Stadtvierteln verfehlen das Problem

Diskussionen um »soziale Mischung« von Stadtvierteln verfehlen das ProblemAus der bisherigen Wohnung ins Ungewisse verdrängt werden oder in beengten, gesundheitsschädlichen, hässlichen Verhältnissen wohnen bleiben? Das ist, zugespitzt, die Alternative, vor der ärmere Menschen stehen, während wissenschaftliche und politische Diskussionen um den Ansatz der „sozialen Mischung“ geführt werden..
Mit „sozialer (Durch-)Mischung“ ist gemeint, dass Menschen aus gesellschaftlich (meist ökonomisch oder rassistisch) benachteiligten Schichten und solche aus privilegierteren Schichten im selben Stadtviertel wohnen. In der Praxis bedeutet das oft, dass in Vierteln, die von ärmeren Menschen bewohnt werden, höherpreisige Wohnungen angeboten werden, sodass diese nur noch von wohlhabenderen Menschen bezogen werden können. Prinzipiell könnte eine „soziale Mischung“ aber auch durch die Schaffung günstigeren Wohnraums in ‚reichen‘ Wohngegenden stattfinden – nur steht das in der Regel nicht zur Debatte. Problematisiert werden meist nur „arme“ Viertel.

Das Problem ist die Armut

Mildert soziale Durchmischung negative Effekte der Armut oder ist sie nur ein anderes Wort für Gentrifizierung und damit abzulehnen? In dieser Kontroverse drohen beide Seiten manchmal zu ignorieren, was Tom Slater so auf den Punkt bringt: Nicht die Wohngegend bestimmt die Lebenschancen, sondern „die Lebenschancen bestimmen, wo du wohnst“. Diese Lebenschancen sind durch den sozioökonomischen Status bedingt. Kern des Problems ist also die Armut selbst, egal ob die Armen ‚durchmischt‘ mit Reicheren leben oder von ihnen segregiert.
Bisweilen wird angeführt, Wohngebiete mit ausschließlich günstigen Mieten zu planen sei ungerecht, denn die Wohnungsnot betreffe ja alle, nicht nur die Armen – insbesondere ‚die Mittelschicht‘ dürfe nicht vergessen werden. Die feindseligere Variante behauptet, ärmere Menschen würden die Hässlichkeit ihrer Wohngegenden selbst durch Nachlässigkeit und Vandalismus verantworten, während Wohneigentum zu pfleglichem Verhalten führe. Im nächsten Schritt wird Ärmeren eine höhere Kriminalität unterstellt.
Die pauschale Verknüpfung von Armut mit erhöhter Kriminalität ist kriminologisch nicht haltbar. Die Suggestion, es brauche auch Wohnungen für ‚die Mittelschicht‘ ist irreführend, schon weil der formale Anspruch auf eine Sozialwohnung weiter in diese Mittelschicht hineinreicht als vielen bewusst ist, aber zudem, weil Menschen mit höherem und stabilem Einkommen selbstverständlich auch bei günstigeren Angeboten auf dem Wohnungsmarkt im Vorteil sind. Hohe Einlagen als Eintrittsbedingung von Wohnungsgenossenschaften sind nur ein Beispiel.
Jede teurere Wohnung in einem Stadtviertel mit bisher niedrigeren Mieten bedeutet eine bezahlbare Wohnung weniger für ärmere Menschen und somit einen unmittelbaren Nachteil für sie.
Sollten daher arme und reiche Viertel einfach so bleiben, wie sie sind? Die einen leben auf engem Raum, Lärm und Abgasen vielbefahrener Straßen ausgesetzt, in schlecht instandgesetzten Wohnungen, womöglich mit Schimmel oder Legionellen belastet oder von ausfallenden Heizungen geplagt. Und die anderen in der großzügigen Etagenwohnung der Gründerzeitvilla oder im eigenen Haus, mit Garten oder mit Balkon auf die verkehrsberuhigte Fahrradstraße.
Warum werden diese Unterschiede als selbstverständlich hingenommen? Ist schönes Wohnen nur als Wohnen der Reichen denkbar und somit für Ärmere nur negativ, als Gefahr der eigenen Vertreibung?
Die soziale Ungleichheit lässt sich nicht dadurch lösen, dass Arme und Reiche anders in der Stadt verteilt werden, sondern indem der Reichtum umverteilt wird. Und das ist innerhalb des Kapitalismus unmöglich. Gutes Wohnen für alle bedarf eines anderen Wirtschaftssystems. Das ist – obwohl ständig das Gegenteil behauptet wird – realistischer als kleinteilige Reformversuche, die an den Zwängen des Marktes scheitern müssen.