Sparpolitik auf Kosten von Arbeitslosen und Armen

Sparpolitik auf Kosten von Arbeitslosen und ArmenDer Bundesrat hat am 22. März 2024 das zweite Haushaltsfinanzierungsgesetz 2024 gebilligt. Damit wurden u.a. beim Bürgergeld die 100 % Sanktionen im Fall einer willentlichen Weigerung, eine „zumutbare Arbeit“ anzunehmen, wieder eingeführt. Hierzu eine leicht aktualisierte Stellungnahme der AG Soziale Berufe der Basisgewerkschaft FAU Freiburg:
Besonders perfide ist das, wenn man bedenkt, dass Massenarbeitslosigkeit ein systemisches Phänomen aller kapitalistischen Gesellschaften ist. Vollbeschäftigung hingegen stellt eine absolute Ausnahmeerscheinung in diesen dar. Unternehmen haben in unserer Gesellschaft nicht den Zweck allen Menschen ein Auskommen zu sichern, sondern nur maximale Profite einzufahren. Dafür sind sie einerseits auf Arbeitskräfte angewiesen, andererseits sind diese nur ein „Kostenfaktor“ und es wird versucht, so viele Arbeitsschritte wie möglich zu rationalisieren. Die Folge ist ein den Konjunkturzyklen folgendes stetiges Ab- und Anschwellen der Arbeitslosenzahlen und – in Deutschland spätestens seit den 70er Jahren – eine konstante hohe Rate an Menschen ohne Arbeitsplatz, obwohl es an Arbeit nicht mangelt. Die Alternative um Vollbeschäftigung zu erreichen – eine radikalen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich – würde die Profitraten der Unternehmen schmälern und das ist politisch nicht gewollt. In der politischen Debatte wird aber nicht diese Tatsache skandalisiert, sondern auf die angeblich „faulen“ Arbeitslosen geschimpft. Diese seien für ihr Schicksal selbst verantwortlich, so als hätten sie sich ihre Existenz als Lohnarbeiter:innen selbst ausgesucht und seien nicht in sie hineingeboren worden. Beispielsweise werden sie (und Asylsuchende) von Finanzminister Christian Lindner, der 15.000 € netto im Monat verdient, den gegen Kürzungen protestierenden Bauern als Sündenbock präsentiert. Es ist die alte Politik, die Verlierer:innen des kapitalistischen Systems gegeneinander auszuspielen. Aus gewerkschaftlicher Perspektive sind Sanktionen strikt abzulehnen: Diese haben die Funktion, Druck auf Erwerbslose zu erzeugen, jede noch so schäbige Arbeit anzunehmen. Sie tragen damit massiv zum Bestehen des Niedriglohnsektors mit seinen prekären Arbeitsverhältnissen (Leiharbeit, Mini-Jobs, Schein-Selbstständigkeit, etc.) bei. Einem Sektor, in dem viele Unternehmen nicht tarifgebunden sind und stetig versuchen geltendes Arbeitsrecht zu umgehen. Zudem wirken die Sanktion auch als Drohkulisse, bloß nicht kämpferisch für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu streiten, droht doch immer die Arbeitslosigkeit mit potentieller Totalsanktion und der damit verbundene materielle wie soziale Abstieg.
Auch aus fachlicher Sicht einer professionellen Sozialen Arbeit sind Sanktionen abzulehnen: Überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen sind Frauen, Ungelernte, alte Menschen, Menschen mit sogenanntem „Migrationshintergrund“, Menschen mit Behinderung oder Menschen mit psychischen Erkrankungen. Diese teilweise besonders vulnerablen Gruppen sehen sich einer allgegenwärtigen Stigmatisierung gegenüber.
Die Regelsätze sind aktuell schon zu niedrig. Eine Totalkürzung beraubt ihnen wichtige materielle Ressourcen und hat das Potential eine Verlustspirale mit weitreichenden biografischen Folgen auszulösen. Wenn Raten, Schuldentilgung oder Verträge nicht weiter bedient werden können, drohen schnell zusätzliche Kosten und Gebühren.
Erfolgreiche Fallverläufe zeigen klar auf, dass es für Betroffene auf eine von ihnen als passend empfundene Arbeitsstelle, sowie auf den subjektiv passenden Zeitpunkt ankommt, zu dem sie sich (wieder) in der Lage sehen, die an sie gestellten Arbeitsanforderungen bewältigen zu können. Die formale Erwartung einer jederzeit möglichen Arbeitsaufnahme geht an der Lebensrealität und den Problemlagen dieser Zielgruppe völlig vorbei. Der Zwang via Sanktion erreicht meist das Gegenteil: Leute nehmen eine Arbeit auf, können die an sie gestellten Anforderungen nicht bewältigen, werden wieder arbeitslos und erleben das meist als weiteres Scheitern und persönliches Versagen. Dabei braucht es keine „Zwangsarbeit“, sondern eine sinnstiftende Beschäftigung. Es braucht keine Arbeitsbeschaffung, sondern Unterstützung auf dem Weg zu guten und passenden Arbeitsstellen. Es braucht Löhne, von denen ein Mensch leben kann, und eine Wochenarbeitszeit die bewältigbar ist.