Kriminalitätsfurcht und Unsicherheitsgefühle

Die im Jahr 2017 zwischen dem Land und Freiburg geschlossene Partnerschaft „Sicherer Alltag“ sowie deren Fortschreibung im Folgejahr waren mit dem Ziel angetreten, die Gewaltkriminalität in der Stadt zu reduzieren und hierüber das verloren gegangene Sicherheitsgefühl der Bürger*innen wiederherzustellen. Die nunmehr in Freiburg anstehende großflächige Videoüberwachung hat das identische Duo im Visier: Sicherheit und Sicherheitsgefühl.

Hier wird seitens der Politik und Polizei in wenigen Worten viel behauptet: eine bedenkliche objektive Sicherheitslage, die das Sicherheitsgefühl kausal in Mitleidenschaft zog. Wie es um die objektive Sicherheitslage steht, wird an anderer Stelle beurteilt (siehe den Beitrag „Gefährliches Pflaster? Die Kriminalitätsbelastung Freiburgs“ von Jakob Bach).

Hier soll es um ihren kongenialen Partner gehen, das Sicherheitsgefühl. Ich möchte mich dabei gar nicht in die Reihe derer einordnen, die subjektive Einschätzungen für den Staat als irrelevant erachten. Unsicherheitsgefühle können die Bürger*innen zermürben und einschränken. Aber ein solcher Zustand wäre eben auch messbar und darf nicht schlicht behauptet werden. Schon gar nicht, wenn er solch weitreichende Freiheitseinschränkungen wie diejenigen durch den „Sicherheitspakt“ beinhaltet.

Zudem gilt es mit der bequemen Mär aufzuräumen, Kriminalitätsfurcht und Kriminalitätsgefahren hätten unmittelbar miteinander zu tun. Man müsse nur die Kriminalität (noch) weiter reduzieren und schon sei alles in Ordnung.

Nein, objektive Sicherheitslage und das empfundene Sicherheitsgefühl sind zwei voneinander unabhängige Variablen, die extrem auseinanderfallen können. Nicht einmal eine persönliche Opfererfahrung kann als zentraler Faktor für die Erklärung kriminalitätsbezogener Unsicherheitsgefühle bezeichnet werden.

Was aber dann? Aus kriminologischer Sicht wesentlich plausibler erscheint die sog. Generalisierungsthese, nach der Kriminalitätsfurcht als Ausdruck einer allgemeinen diffusen Verunsicherung angesehen wird. Diese Verunsicherung hat ihre Ursachen in gesamtgesellschaftlichen und strukturellen Entwicklungen wie der Globalisierung und weltweiter Migration, finanzwirtschaftlichen Risiken oder Umweltproblemen.

Kriminalität wird insoweit als eine Art Projektionsfläche betrachtet, in der allgemeine Lebens- und Zukunftsängste greifbarer werden. Für diese These sprechen beispielsweise die Befunde zur regional ungleichen Verteilung der Kriminalitätsfurcht in Deutschland nach der Wiedervereinigung.
Empirisch belegen lässt sich zudem die damit eng verbundene sogenannte Prekarisierungsthese, nach der Kriminalitätsfurcht Ausdruck von sozialen Abstiegsängsten und der Wahrnehmung existenzieller Risiken ist. Stärker von sozialer Prekarität betroffene Bevölkerungsgruppen artikulieren verstärkter Kriminalitätsfurcht als diesbezüglich privilegiertere Kreise. Umgekehrt lässt sich in Ländern mit überdurchschnittlichem wohlfahrtsstaatlichem Engagement weniger Kriminalitätsfurcht ausmachen als in hinsichtlich dessen weniger aktiven Staaten.

Was folgt hieraus? Eine gute Sozialpolitik, die natürlich etwas kostet, ist in meinen Augen eh ohne jede Alternative. Wer aber aus dem Kosten-Nutzen-Denken nicht herauskommt, dem sei gesagt: Eine solche Sozialpolitik würde auch einen positiven Einfluss auf die Kriminalitätsfurcht nehmen. Und wenn Geld fehlen würde: Einfach auf die Videoüberwachung verzichten!

Roland Hefendehl

Dieser Beitrag ist in der Zeitung „Gefährliches Pflaster“ – Zeitung zur Sicherheitskritik erschienen.