Gefährliche Orte: Ein gefährliches Konstrukt

Gefährliche Orte: Ein gefährliches Konstrukt

Demonstration gegen die Polizeigesetze in Freiburg (Foto: Privat)

Darf die Polizei ohne konkreten Anlass Personen kontrollieren? Diese Frage wurde im April 2019 vor dem Verwaltungsgericht Freiburg verhandelt. Geklagt hatte eine Person, die 2017 vor dem Stadttheater in eine Großkontrolle der Polizei geraten war, obwohl sie sich in keiner Weise auffällig verhalten hatte.
Laut Verwaltungsgericht Freiburg: Stadttheater zumindest morgens kein gefährlicher Ort.

Vor dem Verwaltungsgericht berief sich die Polizei auf eine Bestimmung aus dem baden-württembergischen Polizeigesetz, nach der sie Personen anlasslos kontrollieren darf, wenn sie sich an einem Ort aufhalten, „an dem erfahrungsgemäß Straftäter sich verbergen, Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben, sich ohne erforderlichen Aufenthaltstitel oder ausländerrechtliche Duldung treffen oder der Prostitution nachgehen“ (sogenannter gefährlicher Ort). In seinem Urteil verwarf das Verwaltungsgericht diese Rechtfertigung. Es müsse sich um einen Ort handeln, für den tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass sie von den in der Vorschrift genannten Personen maßgeblich frequentiert werden. Dies sei jedenfalls an einem Montagvormittag zwischen 10 und 11 Uhr vor dem Stadttheater nicht der Fall. Die Identitätsfeststellung und Durchsuchung war somit rechtswidrig.

Gefährliche Orte in Freiburg: Bermuda-Dreieck, Colombipark, Stühlinger Kirchplatz.
Das Verwaltungsgericht hat die polizeiliche Kontrollpraxis eingeschränkt, aber gleichzeitig viele Fragen offen gelassen. Ob der Bereich rund um das sogenannte Bermuda-Dreieck nachts oder am Wochenende als „gefährlicher Ort“ angesehen werden darf, ist weiter ungeklärt. Die Polizei hat darüber hinaus auch den Colombi-Park und den Stühlinger Kirchplatz als besonders gefährliche Orte eingestuft. Aus dieser Einstufung leitet die Polizei umfassende Kontroll- und Überwachungsbefugnisse ab. Normalerweise darf eine Person nur kontrolliert werden, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie eine Straftat begangen hat oder begehen wird. An gefährlichen Orten kann hingegen grundsätzlich jeder und jede anlasslos kontrolliert werden. Darüber hinaus darf die Polizei Videoüberwachung einsetzen, was sie in Teilen der Innenstadt inzwischen auch tut. Am Stühlinger Kirchplatz werden immer wieder Kamerawagen und Drohnen zur Überwachung verwendet.
Durch die Identitätsfeststellungen und die Videoüberwachung werden Personen unter Generalverdacht gestellt und in ihrer Freiheit beschränkt, sich unbefangen an den genannten Orten aufzuhalten. Besonders betroffen sind Personen mit dunkler Hautfarbe, die überproportional häufig kontrolliert werden. Ein solches „Racial Profiling“ ist zwar unzulässig, aber dennoch weit verbreitet. Und solange die Polizei keinen konkreten Anlass für ihre Kontrolle nennen muss, ist es für die Betroffenen praktisch unmöglich, nachzuweisen, dass sie wegen ihrer Hautfarbe kontrolliert wurden. Auch andere marginalisierte Gruppen wie Wohnungslose oder Drogenabhängige geraten schnell in den Fokus der Polizei.

Das Konstrukt der gefährlichen Orte erweist sich damit als wirksames Instrument zur Verdrängung von unerwünschten Personengruppen. In der politischen und juristischen Auseinandersetzung gilt es daher, das Konstrukt der gefährlichen Orte als solches anzugreifen. Dabei sind die von der Polizei vorgelegten Statistiken einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Denn diese sind alles andere als objektive Anhaltspunkte für eine erhöhte Kriminalitätsbelastung. So hängen Kriminalstatistiken maßgeblich von der Anzeigebereitschaft der Bevölkerung ab, die wiederum stark von der medialen Berichterstattung beeinflusst wird. Auch die erhöhte Polizeipräsenz an einem Ort führt naturgemäß dazu, dass mehr Straftaten registriert werden. Die Einstufung gefährlicher Orte wird so schnell zur selbsterfüllenden Prophezeiung.

David Werdermann ist Jurist und hat mit dem Arbeitskreis kritischer Jurist*innen (akj) Freiburg die Klage gegen die Kontrolle am Stadttheater unterstützt.

Dieser Beitrag ist in der Zeitung „Gefährliches Pflaster“ – Zeitung zur Sicherheitskritik erschienen.