Sicherheit als „Supergrundrecht“? Die neuen Polizeigesetze im Kontext der Sicherheitsdebatte

Im Jahr 2013 erklärte der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) Sicherheit zu einem „Supergrundrecht“, das man „in der Abwägung aller Dinge ganz nach vorne stellen“ müsse.
Diese verfassungsrechtlich unhaltbare These scheint tatsächlich in den letzten Jahren zur sicherheitspolitischen Maxime konservativer Politiker*innen geworden zu sein.
Als Reaktion auf ein gestiegenes Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung wurden sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene zahlreiche „Sicherheitspakete“ verabschiedet, bei denen verfassungsrechtliche Spielräume nicht nur ausgereizt, sondern auch vielfach überschritten wurden. Dieser Beitrag beleuchtet in diesem Kontext die Hintergründe und Auswirkungen der Polizeigesetzverschärfungen der letzten Jahre in Baden-Württemberg.
Mit dem Regierungswechsel von Grün-Rot zu Grün-Schwarz 2016 fiel auch das bislang SPD-geführte Innenministerium an die CDU. Neuer Innenminister wurde Thomas Strobl, der schon länger als sicherheitspolitischer Hardliner bekannt war. Nahezu umgehend schloss sich Baden-Württemberg 2017 dann der bundesweiten Welle an Polizeigesetzverschärfungen an und hat seitdem das zweitschärfste Polizeigesetz bundesweit.
Seither hat die Polizei mehr Befugnisse, was den Einsatz von Explosiv- und Sprengmitteln gegen Personen angeht und darf Aufnahmen von Überwachungskameras im öffentlichen Raum automatisch auswerten. Sogenannte Gefährder*innen kann sie mit Aufenthalts- und Kontaktverboten belegen, diese unter Hausarrest stellen oder mittels elektronischer Fußfessel rund um die Uhr überwachen. All dies wohlgemerkt präventiv, ohne dass die betreffende Person bisher strafrechtlich in Erscheinung getreten sein muss.
Mit der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) wurde zudem legalisiert, dass die Polizei durch den Einsatz einer eigenen Schadsoftware die gesamte digitale Kommunikation einer Person überwachen kann.
Mit der Gesetzesnovelle ging also sowohl eine fortschreitende Militarisierung als auch eine Ausstattung der Polizei mit Befugnissen einher, die vorher ausschließlich den Geheimdiensten zustanden. Wie letzteres mit dem strikten Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten vereinbart sein soll, dessen Existenz sich aus den Verbrechen der Gestapo im Dritten Reich speist, ist schleierhaft.

Zwei Punkte sind an dieser Verschärfung darüber hinaus besonders bedenklich:
Zum einen wird deutlich, dass die Kompetenzen der Polizei fast ausschließlich in ihrem präventiven Aufgabenbereich erweitert werden.
Die Polizei soll Menschen, von denen aus Sicht der Polizei nicht etwa eine konkrete, sondern lediglich eine abstrakte Gefahr ausgeht, aus dem Verkehr ziehen können, lange bevor diese auch nur im Ansatz versuchen könnten, eine Straftat zu begehen. Dahinter steckt der Wunsch, in einer Gesellschaft jegliche Unsicherheitsfaktoren durch staatliche Intervention bereits im Keim zu ersticken. Eine solche Sicherheitsgesellschaft geht auf Kosten aller grundrechtlich manifestierten Freiheiten der einzelnen Person. Für den Schutz vor abstrakten Gefahren soll die Gesellschaft Stück für Stück auf ihre Freiheitsrechte verzichten. Von der Freiheits- hin zur Sicherheitsgesellschaft.
Der zweite besorgniserregende Punkt ist die Unbestimmtheit der Rechtsbegriffe mit denen agiert wird.
Im neuen § 27 b des baden-württembergischen Polizeigesetzes heißt es in Abs. 1, die Voraussetzungen für Aufenthaltsverbote oder Hausarrest seien erfüllt, „wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die betroffene Person innerhalb eines übersehbaren Zeitraums auf eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise eine solche Straftat (gemeint sind Straftaten nach § 129a StGB) begehen wird, oder das individuelle Verhalten der betroffenen Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine solche Straftat begehen wird.“ Bei einer so schwammigen Definition erscheint es offensichtlich, dass der Personenkreis der Betroffenen viel größer sein kann, als man es bei einer Norm, deren Einführung fortwährend mit der Terrorismusbekämpfung begründet wurde, vermuten würde. Gefährder*innen könnten neben Terrorist*innen im nächsten Schritt genauso Aktivist*innen oder aktive Fußballfans sein. Deutlich wird diese Stoßrichtung bei der jüngsten Novelle des Polizeigesetzes, auf die sich die Spitzen der grün-schwarzen Koalition im Dezember 2019 geeinigt haben.

Zunächst hatten sich die Grünen noch gegen eine erneute Verschärfung binnen kürzester Zeit im Hinblick auf die Intensität der letzten Verschärfung verwehrt, knickten nun aber vor Strobl und seinen Sicherheitsfantasien weitestgehend ein. Zwar kommt die sogenannte „Online-Durchsuchung“, eine Erweiterung der Quellen-TKÜ vorerst noch nicht, dafür sollen aber Polizeibedienstete die 2019 eingeführten Bodycams zukünftig auch in Privatwohnungen oder Diskotheken einsetzen dürfen. Zudem soll eine verbesserte Rechtsgrundlage für Vorkontrollen im Rahmen von Großveranstaltungen geschaffen werden. Zukünftig erhält die Polizei so noch schneller die Möglichkeit massenhaft Fans vor Fußballspielen oder Demonstrant*innen im Vorfeld von Demonstrationen zu kontrollieren.
Die Polizei erhält durch die Gesetzesverschärfungen im präventiven Bereich immer mehr Befugnisse, welche sie gegen eine Vielzahl von aus ihrer Sicht unliebsamen gesellschaftlichen Gruppen einsetzen kann und wird.
Klar ist auch, dass Freiheit und Sicherheit als Gegensätze in jeder Gesellschaft nicht absolut für sich stehen können, sondern in eine angemessene Balance gebracht werden müssen. Genau diese Balance scheint aber auf dem Gebiet der Polizeigesetze schon lange verloren gegangen zu sein.

Ava Babeuf

Dieser Beitrag ist in der Zeitung „Gefährliches Pflaster“ – Zeitung zur Sicherheitskritik erschienen.